Das Trugbild makelloser Anmutung.
Versuch über Henning Kappenbergs Bergbilder
Monomental und mächtig präsentiert sich das „Wetterhorn“;
wenn auch nicht zu den höchsten Gipfeln der Berner
Alpen zählend, so ist er doch bekannt für seine markante
Gestalt. Nicht weniger beeindruckend wartet die
„Eiger-Nordwand“ mit ihren Besonderheiten auf: Sie ist
berühmt berüchtigt für ihre langen, anspruchsvollen Kletterrouten
und letztlich auch für dramatische Besteigungsversuche
– mit nicht immer glücklichem Ausgang.
Diesem imposanten Eindruck, den die Alpen-Gipfel
und mit ihnen die vielen Legenden von spektakulären
Besteigungen hinterlassen, trägt Henning Kappenberg
durch Stilisierung der Formgebung sowie durch koloristische
Abstrahierung Rechnung: Gebirgsmassive strekken
sich ohne jegliches Sfumato, also Luftperspektive, in
den tiefblauen Himmel; Felsen und Gebirgs-Silhouetten
lassen keine naturalistische, kleinteilige Beschaffenheit erkennen
und die abstrahierende Farbgestaltung beschränkt
sich auf wenige Farbtöne.
Mit der Reduzierung der landschaftlichen Erscheinungswelt
auf die wesentlichen Strukturen des komplexen
Wahrnehmungsfeldes Gebirge löst Henning Kappenberg
jene Bedingungen für die ästhetische Wahr nehmung von
Landschaft ein, die bereits Georg Simmel in seinem
1912/13 erschienenen Aufsatz „Philosophie der Landschaft“
formuliert hat und die bis heute Gültigkeit beanspruchen:
„Unser Bewußtsein muß ein neues Ganzes,
Einheitliches haben, über die Elemente hinweg, an ihre Sonderbedeutungen
nicht gebunden und aus ihnen nicht mechanisch
zusammengesetzt – das erst ist die Landschaft.“ Darüber
hinaus enthebt der Künstler durch Vernachlässigung
landschaftlicher Spezifika die Gebirgslandschaft jeglicher
irdischer Verwurzelung und „es ist das Wunderbare“, so
Simmel in seinem 1911 erschienenen Aufsatz „Zur Ästhetik
der Alpen“, “daß das ganz Hohe und Erhabene der
Alpen gerade erst fühlbar wird, wenn in der Firnlandschaft
alle Täler, Vegetation, Wohnungen der Menschen verschwunden
sind, wenn also kein Niederes mehr sichtbar ist
[…].“ In dieser „Stille und Reinheit, in dieser Ort- und
Zeitlosigkeit besteht kein Pulsschlag des Lebens mehr.“
Aber auch jenseits der Alpen verheißen Berge anderer
Regionen makellose Erscheinungsbilder. So zeigt „Nuuk“
einen in der Davis Straße, also der Meerenge zwischen
den kanadischen Baffininseln und Grönland, treibenden
Eisberg. Der Titel dieses Gemäldes geht auf die gleichnamige
Hauptstadt Grönlands zurück und anders als in
den europäischen Stadtbildern, die Henning Kappenberg
über die letzten 25 Jahre geschaffen hat, stellt dieses Bild
keine Stadt dar, sondern einen Blick von der Stadt in die
Ferne: Menschenleere, ungetrübte Anmutung allenthalben.
Der Künstler jedoch unterläuft die vordergründig
angelegte Metapher von Ruhe und Reinheit; Kritik und
Mahnung greifen unterschwellig Platz. Der strahlend
weiße Eisberg, ein Seismograph in Zeiten des Klimawandels,
gerät zu einem Mahnmal – mittlerweile ist der
Gemüseanbau auf der Insel des ewigen Eises möglich!
Am Mount Everest herrschen ebenfalls beklagenswerte
Zustände: Auch wenn sich der höchste Berg der Erde in
pathetisch-abgeklärter Ruhe von den Leidenschaften
des Daseins und den Niederungen des Lebens förmlich
emporzuheben zu scheint – seinen legendären Glanz hat
er längst eingebüßt: Die Invasion von Amateurbergsteigern
und Abenteuer-Touristen und die damit einhergehenden
Folgen trüben den Nimbus erheblich. Nichts an
Deutlichkeilt lassen die Gipfelmotive „pic Kommunismus“,
„pic Lenin“, „Engels und Marx oder Marx und Engels“
zu wünschen übrig: Hält man sich vor Augen, dass
die kommunistische Administration den über 7000m
hohen tadschikistanischen Gipfeln neue Namen und damit
mutmaßliche Symbolkraft verliehen hat, entlarvt
sich das politische System selbst und die majestätische
Erscheinung der Berge stellt Anmaßung, Willkür und
Absurdität dieser Selbstherrlichkeit bloß.
Henning Kappenberg stellt seine Bergbilder in den
Dienst einer vordergründig makellosen Natur. Auf der einen
Seite versinnbildlichen die lauteren und abgeschiedenen
Landschaften menschliche Sehnsucht nach Stille
und Reinheit. Auf der anderen Seite sind sie beredtes
Zeugnis kritischen Denkens, das die vermeintliche Idealisierung
als Trugbild enthüllt. Zweifel untergräbt die
ungetrübte Anmutung, gesellschaftspolitische Lebenswirklichkeit
bricht sich förmlich Bahn.
Sven Nommensen
__________________________________________________________________________
Henning Kappenberg
geboren 1965 in Oberg,
lebt und arbeitet in Berlin