Salon Salder


Sehnsucht nach einem unverhofften Wiedersehen

Betritt man die lichten Arbeitsräume von Simona Pries, findet man sich in einer Welt wieder, die an frühe Kunstund Wunderkammern erinnert. Hier kann man tote Tiere, getrocknete Pflanzen und Fundstücke des Alltags entdecken. Diese Schätze bewahrt die Künstlerin oft jahrelang auf, bevor diese Teil ihrer Werke werden. In ihren Installationen bringt sie Objekte, Fotografien, Zeichnungen, Klang und manchmal Geruch zusammen. Natürliches trifft auf von Menschenhand Geschaffenes.

Im Zentrum des OEuvres von Simona Pries steht stets die Frage nach der kulturellen Identität des Menschen. Die Installation „Recurrence“ (2014) beschäftigt sich mit dem Thema der Wiederkehr bzw. im weitesten Sinne mit dem Kreislauf des Lebens. Es werden Tiere präsentiert, die auf den Straßen einer Stadt ums Leben gekommen sind. Die Künstlerin zeigt die kleinen Tierfunde in 2,75 m hohen Stelen aus schwarzem Glas, die Anmut und Trauer ausstrahlen. Eine Begegnung zwischen Mensch und Natur wird möglich, die aufgrund des im Werk angelegten Schmerzes eine überzeitliche Tiefe besitzt.

Innerhalb der jüngeren Tierarbeiten beschäftigt sich Simona Pries mit dem Pferd. Im Umgang mit diesem Symboltier gelingt es ihr, Bereiche der Politik, Psychologie und Kunstgeschichte auf eine gänzlich neue Weise miteinander in Beziehung zu setzen. Sie ermöglicht es uns, unseren Abgründen und animalischen Trieben genauso zu begegnen, wie unseren erlernten Kulturtechniken und ethischen Grundwerten. Deutlich wird dies in der Arbeit „ohne Titel“ (2015), deren zentrales Element ein langer Pferdeschweif ist. Mit Isoliertape ist dieser an zwei 2,20 m hohen Scheiben aus schwarzem Glas befestigt, welches auf zwei Filzstreifen stehend an der Wand lehnt. Damit werden Bilder hervorgerufen, die von der Kreuzigung Christi bis hin zur BDSM-Szene reichen. Wie die Arme eines ans Kreuz geschlagenen Körpers hängen die an den oberen Ecken des Glases befestigten weißen Pferdehaare bis vor den Freiraum zwischen den Glasscheiben herab.

In ihrer Mitte werden schwarze Haare sichtbar, die die Reinheit des hellen Schweifs durchbrechen. Die im Daoismus verankerte Vorstellung der Gegensätze zweier unterschiedlicher Prinzipien, die in allen Dingen angelegt sind, treten in Erscheinung. Das Pferd ist ein kunst- und kulturhistorisch aufgeladenes Symboltier: Es kann als mythologisches Wesen den Mondwagen und auch die Sonne über den Himmel ziehen. Es ist Wunschobjekt kleiner Mädchen und zentraler Gefährte verwegener Cowboys. Als schwarzer Hengst steht es für Sexualität und Stärke, als Schimmel hingegen für Reinheit und Eleganz. Pferde sind Fluchttiere und wurden vom Menschen domestiziert. Entgegen ihrer Natur tragen sie als Nutztiere die Last der Menschen und dies nicht nur im wörtlichen Sinne.

„Follow me“ (2015), eine Arbeit, die aus elf braunen und schwarzen Pferdeschweifen und fünf Meter schwarzer Organzaseide besteht, greift die Pluralität von Reinheit, Verlockung, Poesie, Brutalität und Faszination auf. Elfengleich schwebt die Plastik im Raum, sie scheint uns zu locken, um uns in eine andere Welt entführen zu wollen. Der feine Organza ist fragil, wertvoll und durch seine besondere Haptik verführerisch und rein zugleich. Er wird für besonders wertvolle Kleidung wie Abendkleider verwendet. Die Arbeit „Follow me“ verbindet Seide mit Pferdeschweifen und dem Schmerz, mit dem diese heute geordneten und gepflegten Haare uns begegnen. Denn die Künstlerin hat die Schweife direkt aus dem Abfall des Schlachthauses geholt, blutig, frisch vom Leib der gerade getöteten Pferde abgetrennt. In diesem Moment stehen sich Elysium und Hades unmittelbar gegenüber, Schönheit und Brutalität, Leben und Tod. Simona Pries transformiert den Augenblick des Schmerzes und des Todes in ihren Werken zu Situationen, die sich sowohl zeitlich als auch räumlich von Vergangenem bis Zukünftigem ausdehnen. Es sind Übergangssituationen, die das Sein „an sich“ betreffen. „Follow me“ besitzt eine mystische Aura, während uns die Installation „ohne Titel “ aufgrund der kunsthistorischen Bildprägung unausweichlich auch mit religiösen Fragestellungen konfrontiert.

Diesen elementaren Fragen stellt sich die Künstlerin erneut in der siebenteiligen Werkgruppe „Sing a Song“ (2015) in einer poetischen wie drastischen Weise. Sie zeichnet mit ihrem eigenen Blut florale Strukturen und stellt diese in einen Zusammenhang mit Abbildungen vom Aussterben bedrohter Raubkatzen. Begleitet werden sie von zwei Arbeiten, die aus dem Wort „Licht“ und dem Satz „Je ne suis“ bestehen. Beides sind – wie auch die Abbildungen der Tiere – Zeitungsausschnitte, die in ihrer Reduktion auf existenzielle philosophische Diskurse verweisen. Die eleganten und gefährlichen Tiere, dem Menschen in direkter Begegnung körperlich überlegen, verlieren durch die Ausdehnung der menschlichen Zi vilisation ihren Lebensraum. Durch Bemalung der Glasfläche mit schwarzer Farbe wird ihnen in den Werken nur noch ein kleiner Teil des Bildausschnittes zugestanden, der durch unsere kulturellen Überblendungen gerade noch genug Raum lässt, sie zu erkennen. In der Arbeit „Leopard“ wirkt die fließende weiße Farbe, die das Zeitungsfoto des Leoparden umschließt, wie ein zweites Maul und zugleich ist sie wie ein Rahmen, durch den das Tier uns anschaut und zu einem Dialog auffordert.

Sylvia Metz

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Simona Pries
geboren 1969 in Burgdorf,
lebt und arbeitet in Hannover