Salon Salder


Trying to be like…

Die fast zwei Meter hohen Tuschearbeiten wirken von weitem wie Fotografien eines jungen Mädchens mit blonder Bubikopf-Perücke, das in einer Küche vor einer Arbeitsplatte steht und ihren Kopf nach hinten dreht und einem Unbekannten zuwendet. Ihr Blick ist angespannt und die Situation wirkt unheilvoll. Hinter ihr an der Wand befinden sich unheimliche Dinge, wie z.B. die Gliedmaßen einer Puppe. Auf der Arbeitsplatte stehen verschiedene Gefäße, u.a. ein weißer Kaffeebecher mit einem Symbol darauf, das Hanna Nitsch selbst entwickelt hat. Dieses Zeichen taucht in anderen Arbeiten wieder auf und erinnert an ein Branding. Diese ‚Brandings‘ sind in ihrer Bedeutung vielschichtig. Sie bezeugen im positiven Sinne eine Zugehörigkeit zu einer großen Gruppe und stellt ein Bekenntnis dar. Manche Zeichen sind aber nur für Eingeweihte lesbar und verbergen die Gruppe, die sie zeichnet. Im Negativen sind sie als Stigmata zu verstehen, die einen aus der Gemeinschaft verstoßen. Auf der künstlerischen Arbeit angebracht, ist es wie eine Signatur, ein unverwechselbares Alleinstellungsmerkmal, das vielschichtiger ist als das einfache Künstlermonogramm.

Das Mädchen auf dem Bild ist die Tochter der Künstlerin, Elisabeth. „Trying to be like“….umfasst insgesamt sieben Arbeiten, in denen das Mädchen aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt wird. Die Tochter stellt das junge Ich der Kindheit dar und trägt das Alter Ego der Mutter aus Kinderzeiten in sich. Hanna Nitsch agiert bei der Inszenierung als Regisseurin und Fotografin. Die Fotografien dienen ihr als Vorlagen für die Malerei. Das Foto wird mit Bleistift auf das Papier übertragen und jede kleine Farbfläche mit einem Kürzel genau definiert. Nicht die Geste, das Spontane, sondern präzises Kalkül bringen diese monumentalen Arbeiten hervor. Der kindliche Blick, das kühle blau-grüne Schimmern des Inkarnats und die vielfältige Materialität der innerbildlichen Motive sind das Resultat einer wohlüberlegten Maltechnik. Deshalb empfindet man mitunter beim Betrachten der Bilder Anziehung und Unbehagen gleichermaßen. Die Situation der Leere und der kindlichen Angst wird durch die Technik nüchtern festgehalten, präzisiert und ästhetisiert.

Der Künstlerin Hanna Nitsch geht es in ihren diesen Arbeiten nie um das Kind als solches. Das Kind oder die Kindheit ist vielmehr als Symbol des schnellen Wandels von Selbstbild und Identifikation zu verstehen.

Das Spannungsfeld zwischen Selbsterkenntnis und Selbstgestaltung, sowie Fremdbestimmung und Zuschreibung durch Identifikation mit dem anderen, wird in der Kindheit direkt erlebt und kann nur schwer selbst reflektiert werden. Umso stärker im Erwachsenenalter. In der Auseinandersetzung mit der amerikanischen Künstlerin Cindy Sherman hinterfragt Hanna Nitsch ihre eigene künstlerische Identität. Das Motiv ist ein Zitat der Fotografie #3 von 1977 aus den Film-Stills der amerikanischen Künstlerin Cindy Sherman und wird von Nitsch in eine eigene künstlerische Position überführt. Die atmosphärische Offenheit der Szene durch Blickwinkel und Perspektive immer wieder neu akzentuiert. Wo die Amerikanerin immer ihr eigenes Modell und auch ihre eigene Regisseurin ist und die Fotografie das künstlerische Ziel ist, agiert Nitsch im Hintergrund und überträgt die fotografierte Szene in die Malerei. In einem Interview in der FAZ vom 13.01.2014 sagte Cindy Sherman: „Ich wollte mich niemals preisgeben. (…) Es geht mir mehr darum, mich selbst unsichtbar zu machen. Und die jeweilige Figur einfach alles übernehmen zu lassen.“ Auch Hanna Nitsch und ihre Tochter bleiben als Personen unsichtbar. Die Fotografie sieht Hanna Nitsch als ein eigenes Genre in ihrem Werk an. Wie in der Malerei ist Elisabeth wieder die Hauptperson. Auch in der Fotografie verwendet die Regisseurin Nitsch Attribute, die bereits in der Malerei auftauchen, die blonde Perücke oder das „Symbol“, welches in den Fotografien auf einer Fahne erscheint. Die Tristesse der Umgebung, die Haltung von Elisabeth zeigt nicht die heile Welt, in der wir unsere Kinder gerne sehen. Es gibt im menschlichen Entwicklungsprozess und auch bereits in der Kindheit, diese ungeschützten, einsamen Momente, in denen sich die Persönlichkeit zeigt, Momente, die auch das Scheitern in sich bergen. In ihren Videos spielt die Künstlerin selber mit und schlüpft in eine Rolle. Meist mit dunkler Bobperücke und auffällig geschminkt verbindet sie Raum, Zeit und Bewegung mit Momenten des subtilen Hitchcock Grusels und dem Slapstick aus Stummfilmzeiten, in dem sie vom grandiosen Scheitern erzählen kann. Malerei, Video, Foto, Zeichnung und Objekte bilden thematisch eine Einheit, in der das Thema Identität und Identifikation von unterschiedlichen Standpunkten aus beleuchtet wird. Die Suche danach führt immer wieder zum künstlerischen Vorbild, um sich erneut davon zu lösen und dem eigenen Konzept von Identität wieder ein Stück näher zu kommen.

Pia Kranz

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Hanna Nitsch
* 1974 in Freiburg i. Br., lebt und arbeitet in Braunschweig