Salon Salder


TEMPERAMENTENLEHRE

Die Fotoserie „Transit“ (2012/13) von Ricus Aschemann wirkt äußerst malerisch. Als habe der Künstler sich eine Welt ausgedacht, die nur noch aus Farben besteht. Eine Welt, in der sich alle Dinge aufgelöst haben, um in einen amorphen Zustand vor jeder Formung und Festlegung zurückzukehren. Wir denken dabei an die Entstehung der Welt, wie sie in der Bibel geschildert wird. Aber während dort die Welt wüst und leer war, bevor Gott sich anschickte, Himmel und Erde zu schaffen, ist die farbige Welt in den Bildern von Ricus Aschemann zwar undefiniert, aber durchaus organisiert. Die luftigen Farbschwaden seiner Bilder bewegen sich alle in der Horizontalen, als habe ein Maler abstrakte Landschaftsbilder schaffen wollen, was von der Genese seiner Fotografien gar nicht so weit entfernt ist.

Ricus Aschemann hat seine beeindruckenden Aufnahmen aus einem fahrenden Auto heraus gemacht. Was er dabei fotografiert hat sind Lastwagen, die auf deutschen Autobahnen unterwegs waren, worauf die Titel seiner Bilder verweisen. Mal fahren sie langsamer, mal schneller als das Auto, aus dem heraus er fotografiert. Immer aber verwendet er bei seinen Aufnahmen lange Belichtungszeiten, bei denen sich bewegte Objekte unscharf abbilden. Da der Künstler ebenfalls in Bewegung ist, potenziert sich diese Unschärfe noch und ergreift auch die Straße unter ihm und den Himmel über ihm. Alle Gegenständlichkeit löst sich in den Bildern auf in immer neue Farbräume, in die wir zurückkehren wie in die Geborgenheit eines vorgeburtlichen Seins. Ihre Kolorite sind abhängig vom Licht, vom Wetter und den Farben der Fahrzeuge, die Aschemann fotografiert hat.

Mit dieser Fotoreihe gelingt es dem Künstler, die Referenten seiner Bilder in vollkommener Weise zu verwischen. Die Fotografie ist ja durch die Wiedererkennbarkeit ihrer Bilder förmlich definiert. Die ist in diesen Aufnahmen jedoch in keiner Weise mehr gegeben. Daher ist der Betrachter auch versucht, in ihnen abstrakte Farbmalerei zu sehen.

Umso mehr als die Kolorite der Bilder in ebenso fantastischen wie harmonischen Allianzen zusammen finden. In dynamischen Farbbahnen fließen Ocker und Grün, Rot- und Grau ineinander. Eine graubraune Farbpartitur wird von einem Anflug von Grün durchwebt. Ein energisches Gelb dominiert ein zurückhaltendes Braun. Ein zartes, helles Grün schwebt über einem schweren, dunklen Grau. Gelb, Rot und Braun speichern Hitze, Blau und Grau eher Kälte. Der „Transit“ durch die Farben gleicht einer Temperamentenlehre.

Der Titel der Fotoserie, hat jenseits seiner prosaischen aber auch eine poetische Bedeutung. Mit ihr reist man nicht allein von hier nach da, sondern aus dem Hier und Jetzt direkt in den Himmel. Wie in einer begehbaren Fotoinstallation von Ricus Aschemann aus dem Jahre 2012. Für „Heaven“ hat er Aufnahmen mit ganz gegenständlichen Motiven verwandt. Er hat sein Objektiv auf wechselnde Himmel gerichtet, etwa auf ein strahlendes Blau, das schon immer als bildlicher Ausdruck eines unendlichen Sehnens verstanden wurde. Sowie auf einen Himmel, der uns mit weißen Schönwetterwolken zur Promenade verführt. Oder auf das dramatische Panorama dunkler Sturmwolken, vor denen wir uns Schutz suchend wegducken.

Führt uns Aschemanns Werkserie „Transit“ in die malerische Abstraktion, so „Heaven“ in die fotografische Gegenständlichkeit. Beide Aufnahmereihen operieren in suggestiver Weise mit einem bildnerischen Mehrwert, der die reine Referenz hinter sich lässt. Bei „Transit“ liegt das unmittelbar auf der Hand. Bei „Heaven“ schafft das konzeptuelle Dispositiv der Installation diesen Mehrwert. In dichter Abfolge besetzen die formatidentischen Fotografien des Künstlers Wände und Decke des Ausstellungsraumes in einem ‘All over’, das keinen Quadratzentimeter unbedeckt lässt. Treten wir in die Ausstellung ein, werden wir von den Bildern wie von einem Kokon umgeben. Er suggeriert, dass wir im Himmel sind.

Michael Stoeber

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Ricus Aschemann
geboren 1964 in Hannover
lebt und arbeitet in Hannover