Salon Salder


KLEINE EPIPHANIEN

Hotels ziehen die Künstlerin an. Schon im Jahre 2008 macht sie das „Hotel Roma“ zur Bühne einer Werkserie, in der sie sich selbst inszeniert. Ein Bild zeigt Delia Keller in kunstvoller Verdoppelung. Ihr Rücken ist gegen eine halb offene Tür gepresst, ihr Gesicht vom Betrachter abgewandt. In einem weiteren Bild wendet sie sich vollends ab. Sie schaut aus dem Fenster, wobei ein durchsichtiger Vorhang ihre Rückenansicht weich zeichnet. Auch wenn man bei dem Anblick der Aufnahmen an die „Untitled Film Stills“ von Cindy Sherman denkt, haben Kellers Fotografien einen völlig anderen Charakter. Und das nicht nur, weil sie in emotionalisierende Farbe getaucht sind. Wo Sherman in ihren Aufnahmen eine Typologie medial vermittelter Frauenrollen entwickelt, zeigt Keller einen dramatischen Moment, der tatsächlich an einen Still aus einer Filmerzählung erinnert.

Ihre Fotografien handeln von Abwesenheit und Anwesenheit, von Verbergen und Offenbaren, von Geschichte und Gegenwart. Aber auch vom Wirklichen und Unwirklichen, vom Alltäglichen und Wunderbaren, vom Natürlichen und Übernatürlichen. Und davon, wie das Eine im Anderen vorhanden ist. In den besten Bildern von Delia Keller ereignen sich beständig kleine Epiphanien. In „458“, ebenfalls eine Hotelerzählung aus dem Jahre 2008 mit der Nummer des von Keller bewohnten Zimmers im Titel, ruht die Linse ihres Fotoapparates wie ein aufmerksames Auge auf ganz unterschiedlichen Motiven. Immer konzentriert sich die Künstlerin dabei auf Details, die sie scharf in den Blick nimmt: Fokussierungen ihres Körpers, ihre metallene Zimmernummer auf einem braunen Holzbrett an einer weißen Wand, gestickte Ornamente von Fenstervorhängen, die mit Teppich belegten Marmorstufen der Hoteltreppe, Grünpflanzen im Foyer. Aus diesen Teilen setzt sich am Ende ein sinnvolles Ganzes in sinnlicher Weise zusammen.

Für Hotels interessiert sich die Künstlerin ebenfalls im Jahre 2013. Vielleicht weil sie als Orte des Transits in hoher Weise metaphorisch sind – auch das Leben ist eine Passage.

Da in ihnen kein dauerndes Bleiben ist, hat der französische Philosoph Michael Foucault (1926–1984) sie unter die Heterotopien gezählt und der Anthropologe Marc Augé (*1935) unter die von ihm so genannten Nicht- Orte. Für Künstler waren sie schon immer anziehend als Orte unverhoffter und entscheidender Begegnungen („Menschen im Hotel“) oder als Symbole einer unbehausten Existenz („Hotel Angst“).

Delia Keller geht es in ihren Fotoreihen weniger um das Porträt bestimmter Hotels, sondern sie sind für sie Bühnen einer komplexen Identitätssuche wie in ihren Bildern aus 2008. Außerdem zeigt sie uns, wie in manchen dieser Herbergen die Vergangenheit bis in die Gegenwart reicht und sie mit einer ambivalenten Atmosphäre erfüllt. Daher mischt sie in ihrer neuen Werkserie auch Eindrücke und Ansichten zweier Berliner Häuser, des unter Künstlern beliebten Hotels Bogota und der nicht weniger populären Hotel-Pension Funk.

Keller nimmt in ihnen einen Frieden von gestern wahr, der aller nervösen Geschäftigkeit des Heute scheinbar gelassen gegenüber steht. In ihren Fotografien findet er sich wie in Bernstein eingeschlossen: im ruhigen Schein einer Lampe auf einem aus der Zeit gefallenen Telefon mit Wählscheibe. Im still sich in den geschliffenen Kristallfacetten eines Lüsters spiegelnden Licht. In der marmorierten Textur einer Bodenvase aus den 1950er Jahren. In den Ziernägeln aus Kupfer, die grünen Polsterstoff an das geschwungene Holz einer Lehne heften. Im altertümlichen Stuckspiegel, im bescheidenen Emailschild mit der Aufschrift „Pension“, in den weißen Frotteetuchstapeln in einem Messingwagen und im ausgetretenen, roten Bodenteppich eines menschenleeren Hotelflurs.

Delia Kellers exquisite Bilder glorifizieren nicht. Es ist an uns zu entscheiden, ob die Stille, die in ihnen herrscht, Kraft hat oder eher Stillstand bedeutet. Oder auch beides zugleich.

Michael Stoeber

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Delia Keller
geboren in Braunschweig,
lebt und arbeitet in Berlin