EMPFINDUNGSRÄUME
Ein frühes Werk der Künstlerin „Ohne Titel“ (2005) ist aus
mehrfachen Gründen interessant. Gilta Jansen zeigt es an
der Hochschule in Braunschweig, wo sie zu der Zeit noch
studiert. Es ist eine große Wandarbeit aus unterschiedlichen
Medien und Materialien. Blaue Fäden verspannen
sich zu Wegen, die den Herzschlag der Wandernden bewahren.
Darüber hängen heißkalte Himmel aus zartroten
und -blauen Farbwolken. Cut-outs aus gemusterten und
einfarbigen Tüchern zeichnen eher geträumte als reale
Länder und Kontinente.
Das Werk ist eine verrätselte, anspielungsreiche Kartografie,
dessen Quelle das Leben der Künstlerin ist. In ihm vermittelt
sich das Staunen über eine zugleich einmalige und
fragile wie sich selbst oft fremde und in jedem Fall erstaunliche
Existenz. Gerade weil die Lebensreise nichts ins
Spezifische und allzu Persönliche geht, vermag sie zur eigenen
des Betrachters werden.
Ausgehend von dieser Arbeit zeigt Jansen im selben Jahr
im Kunstverein Hannover unter dem Titel „X Life: My 1
& Only L“ (2005) ein ähnliches Werk mit ungleich komplexeren
Dimensionen. Zum einen weil es in den Raum
gewandert ist und mehr als nur eine Wand und auch den
Boden besetzt. Zum anderen weil die in ihm aufbewahrte
Erzählung sich geweitet hat. Leben, so erfahren wir in dieser
Arbeit, ist ebenso klar wie konfus, ebenso schmerzhaft
wie schön, und man fliegt hoch und stürzt tief in ihm.
Seit dieser Zeit drängen die Werke von Gilta Jansen immer
stärker in den Raum hinein. Dabei sind sie eher
Raumcollagen als bildhauerische Installationen. Das wird
besonders deutlich an der Vorliebe der Künstlerin für
Schnitte, die ein Ganzes zerlegen und Bilder zu neuen Bildern
transformieren. Ihre Materialien kommen aus dem
Alltag, sind preisgünstig und schnell zu besorgen. Sie haben
eine Affinität zur arte povera. Die Kunst von Jansen
fließt. Materialien, Medien und Motive bestimmter Arbeiten
tauchen in neuen wieder auf. So nimmt ihr noch im
Entstehen befindliches Werk für den Salon Salder Rückgriffe
vor bei zwei schon existierenden Arbeiten. „Mogul“
(2011) zeigt drei braune, von der Decke hängende, schräg
zueinander gestellte Papierbahnen. Unter ihnen ein zu einem
Flügel auseinander geschnittener Teppich. Das Motiv
findet sich in Form eines ausgeschnittenen Doppelflügels
in einer Papierbahn gespiegelt. Es wird von einem
Banner flankiert. Beide Bilder übertragen ihre Bedeutung
auf einen Satz von Gertrude Stein (1874–1946), der im
Zentrum des Werks steht. Als Negativform, in Frakturschrift
ausgeschnitten, sehen wir ihn als ganzen und partiell
hervorgehoben. Er lautet: „Ein Zweifel im Fall von
mehr sagt, was es ist.“
Bricht man die ungewöhnliche Formulierung auf ihren
Sinngehalt herunter, ist dieser Satz ein ungemein tröstlicher.
Er weiß von Exzessen im Leben, von großem
Glück wie großem Unglück oder, um im Bild des Werks
zu bleiben, von Höhenflug und Absturz und empfiehlt –
ganz im Sinne der altrömischen Stoa – Mäßigung. „Modus
in rebus“ von Horaz (65 v.Chr.–8 v. Chr.). Auf deren
Lebensweisheiten beruft sich auch die schon in ihrem Titel
auf Ovid (43 v. Chr.–17 n. Chr.) sich beziehende Arbeit
„Omnia mutantur, nihil interit.“ Wenn, wie der römische
Dichter wusste, sich alles im Leben verändert,
aber nichts wirklich vergeht, dann ist auch nichts vergeblich,
weder Schmerz und Schrecken noch Glanz und
Schönheit.
All das machen Gilta Jansens Werke sinnlich fassbar
durch die Matrix ihrer Motive und deren Echos wie
durch ihre in Analogie und Widerspruch aufeinander bezogenen
Medien und Materialien. Das Fragile antworte
dem Festen, das sich Verschließende dem Durchlässigen
und das Glänzende dem Stumpfen. Stoffliche werden zu
menschlichen Eigenschaften und Erfahrungen. Aus diesem
Grund sind die Werke der Künstlerin auch eher
Empfindungs- als Denkräume, als die sie wiederholt beschrieben
wurden. Man erfasst sie besser auf poetische als
auf prosaische Weise, sieht sie genauer durch das Prisma
des Gefühls als more geometrico.
Michael Stoeber
__________________________________________________________________________
Gilta Jansen
geboren 1979 in Neuss,
lebt und arbeitet in Dannenberg an der Elbe