Heiter und abgründig
Aussagekräftiger könnte das Bild
nicht sein, um zu zeigen, wie reflektiert
der Künstler die Fotografie betreibt.
In „Untitled“ (Mirror) aus dem
Jahre 2009 hält Samuel Henne, in karger
Winterlandschaft stehend, einen
Spiegel vor sein Gesicht, der den ihm
gegenüber liegenden Wald einfängt.
Die Aufnahme zeigt im Grunde zwei
Bilder und mit ihnen auch zwei Genres.
Eine Landschaft und ein Porträt.
Wobei die Verdoppelung der Landschaft,
die sich im Spiegel reich und
lieblich, im Hintergrund dagegen eher
öd und leer darstellt, darauf verweist,
wie jede Perspektive, die der Fotograf
bei seiner Aufnahme einnimmt, zugleich
ihre Ontologie bestimmt und
damit den Mythos von der Objektivität
des Lichtbildes widerlegt. Als Porträt
ist das Foto bemerkenswert, weil
Henne sich in ihm, einer alten Abbildungstradition
folgend, über seinen
Beruf definiert. Indes in metonymischer
Weise. Statt seines Kopfes sieht
man ein Bild im Bild. Bescheidener
und zugleich entschiedener kann man
als Person nicht hinter sein gewähltes
Metier zurücktreten.
Schaut man auf seine neue Bildserie
mit dem poetischen Titel „something
specific about everything“ (2010)
möchte man Henne nicht allein als
Fotografen begreifen, sondern auch als
Plastiker. So wie Thomas Demand,
der seine Motive bis heute aus Papier
modelliert und fotografiert. Aber anders
als dessen streng an authentische
Orte und Situationen gebundene Sujets,
schafft Henne die Motive für
diese Fotoserie aus einer reichen, nicht
selten surreal grundierten Fantasie
heraus. Dabei hält er sich an die allertrivialsten
und banalsten Alltagsgegenstände,
die er zu suggestiven Ensembles
verknüpft. Hennes Bricolagen
entstehen in der Tradition von Marcel
Duchamps Readymades und der Collagen
der Dadaisten. Sie entdecken in
den Gegenständen des Alltags eine
Seele. Ein Eigenleben, das sie auch
mit dem französischen nouveau roman
und Georges Pérec verbindet.
Diese Qualitäten zeigen sich indes
erst im fotografischen Bild, um das es
Henne, darin Demand wieder ähnlich,
auch bei dieser Werkserie vorrangig
geht. Der flächige, beinahe schattenlose
und ornamental anmutende Auftritt
der Dinge im sie vergrößernden
Hochformat vor zweifarbigem Hintergrund
dient ihrer Verfremdung und
Stilisierung. Wobei auch die heiteren,
in Form und Farbe harmonischen Inszenierungen
nicht selten fragwürdig
und doppelbödig werden. In Bild
„#01“ sehen wir ein hellbraun ummanteltes
Bleigewicht die eine Seite
eines rosafarbenen Holzsteges niederdrücken.
Die andere Seite ragt, einer
aus dem Gleichgewicht geratenen
Wippe nicht unähnlich, hoch in die
Luft. Dort probt eine Wäscheklammer
den Kopfstand. Der vorgeführte
Zustand erscheint prekär. Die Wäscheklammer,
die in luftiger Höhe
tapfer Haltung bewahrt, erinnert ein
wenig an Alexander Kluges sprichwörtlich
gewordenen Filmtitel:
„Artisten in der Zirkuskuppel, ratlos.“
Aggressiv wirkt die Aufnahme „#01“
mit ihrer Figur aus einem weißen
Plas- tiktorso, durch den sich ein blitzender
Inbusschlüssel dreht. Der
Kopf besteht aus einem weiteren
weißen Plastikelement, in das eine
Streich holzschachtel eingepasst ist.
Aus ihr lecken übereinander geschichtete
Metallwinkel wie hungrige, messerscharfe
Zungen hervor.
Bild „#31“ zeigt eine Figur, deren
Korpus, ein lila belichtetes, zylindrisch
gerolltes Fotopapier, auf einem trichterförmigen
Unterbau mit Stecknadelbeinen
sitzt. Den Kopf bildet eine
rosafarbene Garnpappe mit gelber
Büroklammer. Das Ganze wirkt wie
eine beunruhigende Mischung aus
Sonnenblume und Raketenstart. Oder
das Ensemble in „#33“ mit einem
Sockel aus brauner Plastikkappe, Beinen
aus heller Haarklammer und
Torso und Kopf aus schwarzen Unterwäschebügeln
und blauen Streichhölzern.
Ein surrealer Hybrid, der an
Figurationen von Miro erinnert. Oder
die Figur in der Aufnahme „#27“ aus
durchscheinendem Plastikbecher,
rotem Klebeband und weißen und
gelben Lackierrollen. Eine von ihnen
wendet uns ein durchdringendes rotes
Auge zu, „Big Brother is watching you“
oder die außer Rand und Band geratene,
Rock’n Roll tanzende Lampe
in Bild „#04“. Sie ist nichts weniger als
ein Manifest gegen die Diktatur des
rechten Winkels. Die Dinge in den
Bildern von Samuel Henne präsentieren
sich in fast beiläufiger Ambivalenz.
Und unser Blick auf sie gerät uns
dabei zum Blick auf uns selbst. In all
seinen Aufnahmen nimmt uns der
Fotograf mit in ein poetisches Land,
„das lange zögert, eh es untergeht“
(Rilke). Einerseits. Andererseits herrscht
dort – wie es für Kinder nicht untypisch
ist, ein unverstellter Blick auf
die Welt. In ihm enthüllen sich auch
ihre beunruhigenden Unterströme.
Michael Stoeber
__________________________________________________________________________
Samuel Henne
geboren 1982 in Göttingen,
lebt und arbeitet in Hannover