Salon Salder


Der Text als Bild

Die Beziehung zwischen Text und Bild, zwischen Malerei und Literatur ist eine uralte. „Ut pictura poesis“, lesen wir bei dem römischen Dichter Horaz. Die Verse des Poeten sollten so sinnlich und bildkräftig sein wie die Pinselstriche und Motive in einem Gemälde. Die Malerei dagegen hat sich im Verlauf ihrer Geschichte selbst auch immer wieder der Literatur angenommen, um deren Stoffe und Themen in Bilder zu übersetzen. Der Grund dafür ist einfach. In Zeiten, als die Auftragskunst noch Hochkonjunktur hatte, wollten die Kunstsammler aus Adel und Klerus die großen Erzählungen der Antike und der Bibel nicht nur lesen, sondern als gemalte Inszenierung vor Augen haben. Die Viten der Heiligen und Heroen dienten ihnen zum Vergnügen und zur Belehrung. Es war gleichfalls Horaz, der das „docere“ und „delectare“ als Aufgabe der Kunst beschrieb.

Auch wenn heute wohl kein Maler mehr im Umkehrschluss ein Bild wie ein Gedicht modelliert, ist die Literatur doch nach wie vor für viele Künstler eine Quelle der Inspiration. Denn da die Zeiten der Auftragskunst lange vorbei sind und es zum Selbstverständnis des zeitgenössischen Künstlers gehört, sich selbst zu beauftragen und nicht beauftragen zu lassen, ist die Suche nach dem Stoff eine der vordringlichsten. Die Situation des Malers in seinem Atelier wird heute von der ständigen Frage begleitet „Was malen?“ – so ließe sich in Anlehnung an Lenin berühmte Überlegung „Was tun?“ sagen. Für Meike Zopf, die gegenständlich und erzählend malt, ist die Literatur immer wieder eine große Anregung. Aber sie verschleiert ihre Spuren. Es ist keineswegs ihre Absicht, Literatur zu illustrieren. Sie ist lediglich der Ausgangspunkt für eigene Erfindungen. Oft bleiben von den Lesefrüchten nur noch Namen, die als Bildtitel auf Buchprotagonisten verweisen wie in „Hannahs Ankunft“ (2008).

Stärker als von einer bestimmten Geschichte wird ihr Bildgeschehen von moderner Erzählstrategie bestimmt. So wie der Dichter assoziativ und sprunghaft berichtet, so verbindet auch die Malerin in ihren Bildern häufig unterschiedliche Orte, Zeiten und Handlungen. Bei aller Gegenständlichkeit der Darstellung verrätseln solche Kunstgriffe das Geschehen auf der Leinwand nicht weniger als die Allianz unterschiedlicher Stile und Malsprachen. So führt Meike Zopf in ihren Gemälden abstrakte und gegenständliche Partien zusammen. Zeichenhafte Gebilde stehen neben plastischen Körpern. Gesichter bleiben unausgemalt, und Figuren erscheinen im Anschnitt wie auf einer Fotografie. Kristalline oder organische Formen treiben im Bildhimmel. Monochrome Flächen teilen sich das Bild mit mehrfarbigen Ausmalungen. In „Heimsuchung I“ (2010) sehen wir einen grauen, gekreuzigten Christus in einem Licht erfüllten Himmel schweben, während in der Bildmitte leuchtend rote Blumen förmlich aufplatzen. Ein Kind in Rückenansicht nähert sich einer gesichtslosen Madonna im schwarzen Mantel, während ein gelbgrüner Frosch in einem Märchenwald neugierig auf den Betrachter schaut. Ein Traum? Solche bis in die Malsprache hinein komplexen und hermetischen Bildensembles erzeugen nicht nur Spannung, weil sie Gegensätze und Widersprüche bündeln, sie verlangen auch nach einem ebenso wachen wie neugierigen Betrachter, der bereit ist, sich auf solche Bilder als Hermeneutiker einzulassen. „Heimsuchung I“ ist Teil einer Bildserie, in der uns wechselnde Protagonisten begegnen, welche die Malsprache immer wieder als symbiotisch verbunden und verstrickt mit Wald und Natur kenntlich macht. In „Heimsuchung IV“ streckt sich ein männlicher Arm nach einem über ihn auftauchenden Flugzeugengeschwader aus. Als wolle er die Flugzeuge grüßen oder in der nächsten Sekunde einzeln vom Himmel pflücken.

Zu der Bildserie wurde Meike Zopf von dem gleichnamigen, preisgekrönten Roman von Jenny Erpenbeck angeregt. In dessen Zentrum steht ein Haus an einem märkischen See. Für seine wechselnden Bewohner ist es Heimat, aber auch Ort der Heimsuchung durch die Verwerfungen der Zeit. Sie erleben dort die Weimarer Republik, das Dritte Reich, den Krieg und sein Ende sowie die Wende und die Nachwendezeit. Man muss das nicht wissen, um sich auf die Bilder einlassen zu können. Vielleicht ist es nicht einmal von Vorteil, ist der Betrachter dann womöglich verführt, den Roman im Bild aufzuspüren. Das wäre nur Illustration und würde weder der schöpferischen Fantasie der Bilder noch der des Betrachters gerecht.

Michael Stoeber

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Meike Zopf
geboren 1972 in Berlin,
lebt und arbeitet in Hannover