Salon Salder


Ins Offene
Zum Werk von Rolf Bier

Für Rolf Bier sind Gattungen eine eher historische Kategorie. Er ist sowohl Maler als auch Bildhauer, aber oft genug verbindet er beide Tätigkeiten und stellt sie in den Dienst einer Raum füllenden Installation. In ihr sind sie Elemente einer künstlerischen Choreografie, die in erster Linie als Ensemble wirken will. Die einzelnen Werke verweisen aufeinander – auch wenn man sie durchaus für sich betrachten und lesen kann. Doch sind sie gemeinsam mehr als allein. Sie operieren wie eine Kette von Sätzen, die sich zu einer Erzählung organisieren. Für Bier zählt weniger das von einer Aura gekrönte Einzelwerk, das uns in Bewunderung und Entzücken versetzen will, sondern für ihn ist Kunst ein Erweckungserlebnis. Sie soll dem Betrachter Dinge bewusst machen, die er so bisher noch nicht gesehen und gewusst hat. Nicht in Form einer essayistischen Belehrung, bei aller Ähnlichkeit seiner Werke mit einem Text, sondern durch ästhetische Provokation. Bier schafft Bilder, die uns dazu bringen, sie wie die Sätze einer Geschichte oder die Verse eines Gedichts in Beziehung zueinander zu setzen, um ihren Sinn zu verstehen. Auch wenn der Künstler das heiße Herz bei der Betrachtung - wie der Fertigung – seiner Werke nicht ausschließt, so braucht es zu Ihrem Verständnis doch eher kühlen Verstand.

In dieser Weise funktioniert auch Rolf Biers Installation „Camp“ (2000-2002). Sie besteht aus zehn unterschiedlich großen Bildern und einem plastischen Objekt. Das Werk entstand, als er länger in Berlin lebte. Und obwohl der Künstler in ihm Erfahrungen verarbeitet hat, die sich mit der Geschichte der einst geteilten und vom Kalten Krieg malträtierten Stadt berühren, geht es ihm keineswegs um die Illustration eines Kapitels politischer Geschichte. Das Werk greift weiter. Es denkt über Formen der Repression und Befreiung des Menschen nach, die universell sind. Auch wenn einzelne Elemente des Camps durchaus spezifisch sind wie der Stacheldraht seiner Lagermauern, das grelle, unbarmherzig das Terrain ausleuchtende Licht oder die Gewehrläufe in einem Bild. Aber im Wesentlichen geht es in ihm um die condition humaine, nicht um die Darstellung eines bestimmten Lagers. Das Camp ist eine Metapher dafür, was Menschen anderen Menschen antun können, wenn sie nur verblendet genug sind. Es zeigt, wie schmal die Grenze ist und wie dünn das Eis, bis Humanität in Bestialität umschlägt. Der Künstler braucht keine Menschen, um das deutlich zu machen. Dafür genügen ihm wie Rasiermesser aussehende Lagermauern, Bogenlampen, die sich wie Folterknechte über imaginierte Lagerinsassen beugen oder aus den Fugen geratene Lagerarchitekturen.

Dagegen stehen Bilder der Hoffnung und Befreiung, wenn sie auch kein strahlendes Alternativszenario entwerfen und kontaminiert erscheinen durch die potentiell böse Natur des Menschen. Die vertrockneten Sonnenblumen haben zwar weitgehend ihre Farbe verloren, künden aber doch von einer besseren Welt als der des Lagers. Der Blick auf Berge und Stalaktiten zieht die Sehnsucht nach der Ferne und der Sicherheit in einer Höhle, hinter der die Urhöhle des Uterus aufscheint, in einem Bild zusammen. Die Ansicht eines kleinen Bergdorfs lässt eine solidarische Form des Zusammenlebens sichtbar werden, die eine zivilisatorische Gegenwelt zum Unterdrückungsapparat des Lagers entwirft. Und neben dem großen, deprimierenden, schwarzweißen Bild des abgeholzten Waldes steht ein kleines, farbiges Pendant, das hoffen lässt, aus den abgeholzten Baumstümpfen könnte vielleicht noch einmal neues Leben grünen.

In der Mitte der Installation von Rolf Bier, umgeben von all diesen Bildern, steht wie ein rätselvoller Gral ein plastisches Objekt. Es besteht aus einer spiegelnden Metallfläche, die auf Rollen aus farbigem Knetgummi ruht und eine Mauer trägt, welche wie der Anfang eines Unendlichkeitszeichens gebaut ist. Sie ist nach allen Seiten offen, von vielen Fenstern durchbrochen und das optimistische Gegenbild zur einschließenden Lagermauer. Das ganze Objekt ist das Symbol eines ungeheuren Optimismus. Die Rollen lassen es mobil und beweglich erscheinen. Die Kinderknete erinnert an einen spielerischen und schöpferischen Umgang mit der Welt. Wie Johann Christian Hölderlin (1770 – 1843) ruft das Objekt uns zu: „Komm! Ins Offene, Freund!“ Und erinnert uns daran, dass unter dem Asphalt der Strand ist, hinter Gitterstäben sehr wohl eine Welt und am Ende der Dunkelheit das Licht. Überall und zu allen Zeiten.

Michael Stoeber

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Rolf Bier
geboren 1960 in Würzburg
lebt und arbeitet in Stuttgart und Hannover