Salon Salder


Gottes eigenes Auge
Zum Werk von Bernd Uhde

Aus welcher Perspektive jemand auf Welt und Wirklichkeit schaut, bestimmt mit darüber, in welcher Weise er ihr Sinn und Bedeutung beilegt. Das macht ganz nebenbei auch die Relativität von Wahrheit aus. Film und Fotografie haben diese Einsicht zu einer kanonischen Bildgrammatik entwickelt. Wenn die Kamera vor ihrem Gegenstand in die Knie geht, sich klein macht und ihn gewissermaßen aus der Froschperspektive aufnimmt, macht sie ihn im Gegenzug groß, mächtig und bedeutend. Wir kennen die Einstellung aus spannenden Showdowns in Western zur Genüge. Begegnet sie ihm dagegen in Augenhöhe, stellt sie ein Verhältnis von Gleichen dar. Und klettert sie auf einen Kran oder Turm und nimmt die Welt von oben aus der Vogelperspektive wahr, dann schaut sie, metaphorisch gesprochen, mit Gottes eigenem Auge auf sie. Und wenn ihr Blick auch nicht der des Schöpfers oder Herrschers ist, dann doch der eines privilegierten Beobachters, dem die Welt zur vollkommenen panoptischen Verfügungsmasse wird.

Der Fotograf Bernd Uhde liebt diesen Blick von oben nach unten, aus luftiger Höhe auf die unter ihm liegende Welt. Um sie in dieser Weise wahrnehmen zu können, steigt er mit seinem Fotoapparat in einen Heißluftballon oder Helikopter und nimmt die Welt aus wechselnden Höhen zwischen 100 und 1000 Metern auf. Dieser Blick von oben nach unten ist quasi zur Signatur seiner fotografischen Arbeit geworden. Sowie sein sensibler Umgang mit Farbe, der seinen Fotowerken eine malerische Qualität verleiht. Die hat er früher noch akzentuiert, indem er seine Bilder auf Leinwand kaschierte, sodass sie oft genug wie gemalt erschienen, ohne es tatsächlich zu sein. Unter den von Uhde für den Salon Salder ausgewählten Arbeiten macht diese Qualität am ehesten seine Aufnahme von „Car Park I“ (2010) deutlich. Die Reihe der nur zum Teil von Schnee bedeckten Autodächer lässt immer wieder ganz unterschiedliche Farben sehen, sodass das Bild an Farbfeldmalerei erinnert. Aber auch der aus der Vogelperspektive aufgenommene „Swimming Pool“ (2010) mit seinen verschiedenen Blautönen zeigt diese malerische Qualität, obwohl seine unmittelbare Umgebung gleichfalls im winterlichen Weiß versunken ist.

Der Schnee spielt auf allen Bildern Uhdes für den Salon eine gewichtige Rolle. Er bedeckt die Vielfalt der Farben, die in anderen Jahreszeiten in seinem Werk aufblühen und gibt den Aufnahmen zum Teil eine komplett oder fast schwarzweiße Qualität wie in der Doppelreihe der kahlen Bäume von „Stripped Trees II“ (2010), in der „Power Station“ (2010) oder in den „Twin Trees“ (2010). Der weit entfernte Blick auf die Welt von oben verleiht ihr in den Bildern Uhdes nicht selten ein abstraktes Aussehen, was durch den Schnee, der sie partiell zudeckt, noch verstärkt wird. Die filigran gezeichneten Baumkronen der „Stripped Trees“ wirken wie eine Population fremder Sporen unter dem Mikroskop und die elektrischen Leitungen der „Power Station“ wie die Linien einer Partitur konkreter Musik. Überhaupt wird in den hier vorliegenden, im Winter aufgenommenen Fotowerken Uhdes die Linie gegenüber der Farbe privilegiert. Notwendigerweise, weil die schneebedeckten Ansichten von Stadt und Land in dieser Jahreszeit stärker grafisch konturiert sind.

Das allerdings muss man sehen und hervorheben können. Bernd Uhde kann das in hervorragender Weise. Er hat einen sensiblen Blick für serielle Formationen, in denen die Welt sich wie von selbst ästhetisch organisiert. In „Divided“ (2009) lässt er fast in der Bildmitte eine Reifenspur die Komposition der wie gezeichnet da liegenden Baumreihen in der Horizontalen unterbrechen. Das schräg einfallende Licht verdoppelt in poetischer Weise die Choreographie der Bäume durch den Zauber ihrer zarten, bläulich schwarzen Schatten. Das macht die Aufnahme zu einem Meditationsbild, das über Sein, Schein und Identität nachdenken lässt. Auch „Pyramid“ (2009) und „Tractor Tracks II“ (2010) bestechen durch ihre in den Schnee eingegrabenen Lineaturen, welche die planen, weißen Landschaftsbühnen mit Bedeutung versehen. Nicht weniger als in „Woodstock“ (2010), ein Bild, dessen geschichtete und durcheinander gewirbelte Holzelemente in dialektischer Manier den gleichzeitigen Gedanken an Kosmos und Chaos nahe legen. Sie alle machen deutlich, was Bernd Uhde an dem Blick von oben auf die Welt reizt. Er erlaubt durch Auswahl und Ausschnitt in besonderer Weise, den demiurgischen Gestus der Sinnstiftung im fotografischen Bild zu wiederholen.

Michael Stoeber

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Bernd Uhde
geboren 1950 nahe Düsseldorf
lebt und arbeitet in Bienenbüttel, OT Eitzen