Salon Salder


Der Künstler als Demiurg
Zum Werk von Bernd Giering

Die Bilder zeigen eine Fülle von Lebewesen und Dingen dieser Welt, als sei ihr Künstler nicht nur ein uranfänglicher Adam, der die Schöpfung benennen, sondern auch ein Gott, der sie zuvor noch schaffen soll. Damit findet der alte Mythos vom Künstler als Demiurgen im Werk von Bernd Giering eine spielerische Wiederauferstehung. Aber er sieht sich nicht nur in der Rolle des Schöpfers einer künstlerischen Welt, sondern zugleich auch in der des Betrachters der wirklichen Schöpfung. Und dabei kommt er, wie es aussieht, aus dem Staunen über die Verfasstheit von Welt und Wirklichkeit nicht heraus. Das also gibt es alles, scheint er in Anlehnung an den bekannten Buchtitel des früh verstorbenen Kunstkritikers Max W. Faust bewundernd vor sich hinzumurmeln, während sich sein Zeichenstift und Pinsel unablässig bewegen, um im Bilde festzuhalten, was der Maler sieht. Menschen und Gegenstände bildet er dabei in gattungsgerechten Formen ab, als wolle er sie als Idee malen, nicht als singuläre, unverwechselbare Erscheinung. Die Vernachlässigung des Details zu Gunsten des Kerns einer Sache, philosophisch gesprochen, der Hervorhebung der Substanz unter Aufgabe der Akzidentien, zeichnet auch das gemalte Universum des früher gebräuchlichen orbis pictus aus, mit dessen Hilfe Schülern die Welt erklärt und näher gebracht wurde. Sein Herausgeber Johann Amos Comenius (1592 – 1670) beschrieb und bebilderte darin das Nächste und Entfernteste, das Größte und Kleinste. Und wenn er in ihm von Gott bis zu den Insekten alles darzustellen versucht, ist auch bei ihm der Grundton seines Buches der einer staunenden Bewunderung über die Vielfalt und Großartigkeit der Welt.

Bernd Giering staunt in seinem Werk sozusagen unterschiedslos über die Schöpfung. Er ordnet sie nicht hierarchisch. Er sortiert und klassifiziert sie nicht. Alles ist ihm gleichermaßen wichtig und wunderbar. Ob nun Natur oder Kultur, ob von Gott oder dem Menschen geschaffen. In seinem orbis pictus ist ein Mensch nicht größer als eine Schere, ein Schuh nicht kleiner als ein Tisch. Wenn der Künstler in seinen Bildern Mensch und Ding, Tier und Mensch, Fauna und Flora in einen Dialog und einen gemeinsamen Zusammenhang bringt, ist das in diskreter Weise ein schönes Plädoyer für eine humanere Welt. In ihr sind alle möglichen Oppositionen und Distinktionen aufgehoben zugunsten eines märchenhaften Miteinanders, in dem alles Geschaffene eine gleich große Bedeutung und Beachtung erhält. Giering verbindet die gemalten Geschöpfe seiner Welt in einer Art Mahlstrom, im wortwörtlichen Sinn. Der zieht sie nicht in den Abgrund, sondern in einen gemeinsamen Tanz. In einer frühen Werkserie bildet er auf seinen Leinwänden vor hellen und dunklen Bildgründen geometrische Figuren ab: Kreise, Dreiecke, Kreuze, Sterne. In ihnen haben seine schablonenhaften Figuren als grüne, weiße oder schwarze ihren Auftritt. Die konstruktiven Bildbühnen verstärken den Gedanken, dass es sich bei ihnen um Ideen im Sinne Platons (ca. 428 v. Chr.) handelt. War es doch der antike griechische Philosoph, der in seiner Wahrheitssuche das Sein vom Schein trennte, und die wandelbaren Objekte unserer sinnlichen Erfahrung von den unkörperlichen, unveränderlichen und ewigen Gegebenheiten einer rein geistigen Welt. Und der sich die Welt aus geometrischen Urformen aufgebaut dachte.

Aber die Figurenwelt von Bernd Giering lässt nicht nur an die platonische Ideenlehre denken. In weiteren Bildern verschränkt er die gezeichnete Kontur von Mensch und Ding mit ihrem ausgemalten, an Scherenschnitte erinnernden Korpus. Umriss und Körper, Schwarz und Weiß, Linie und Farbe treten miteinander in einen dialektischen Dialog, wie er die philosophischen Gespräche des Denkers charakterisiert. Diese Qualität zeichnet auch seine Werkauswahl für den Salon Salder aus. Vor weißem Hintergrund treten einmal mehr verschiedene Figuren ins Bild. Giering hat ihnen zwei unterschiedliche Farben zur Auswahl gegeben: schwarz und gelb, blau und gelb, rot und blau, gelb und rot und rot und rot. Wo sich in den Gemälden die Figuren überlagern, bilden sie entsprechende Mischfarben. Die figürliche und farbliche Überblendung sorgt ästhetisch für strahlende Kolorite und komplexe Kompositionen. Zugleich ist es eine symbolische Überhöhung, um deutlich zu machen, dass in dieser Welt alles mit allem zusammenhängt. Nicht nur im Sinn einer Evolution, sondern auch im Sinne des Überlebens der Welt. In weiterhin spielerischer, aber immer drängender Manier inszeniert Bernd Giering das Gesetz der Symbiose. Wenn wir es nicht verstehen, könnte es eines Tages leicht zu spät sein.

Michael Stoeber

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Bernd Giering
geboren 1951 in Salzgitter
lebt und arbeitet in Salzgitter