Salon Salder





Wer bin ich?
Zum Werk von Johanna Smiatek

Legendär geworden ist der Satz des Schriftstellers Heiner Müller (1929 – 1995) beim Blick auf die eigene Person in den Spiegel am Morgen. Sich seiner selbst ansichtig werdend, sprach er: „Kenn´ ich nicht. Rasier´ ich nicht.“ Nicht immer also muss die Selbstprüfung vor dem Spiegel in Narzissmus enden. Und wer vor Johanna Smiateks mannshohen Spiegel „Paris“ (2009) tritt, erlebt wie von selbst eine gewaltige Überraschung. Durch einen Bewegungsmelder ausgelöst, fängt der Spiegel an zu zittern, als erschrecke er vor dem Menschen, den er da gerade zu sehen bekommt. Das Objekt hält nicht mehr still und bleibt nicht mehr stumm im Werk der Künstlerin. Sondern durch Smiateks Animation wird es in gewisser Weise zum Subjekt und damit zum Gegenüber in einem Dialog mit dem Betrachter. In diesem Fall eröffnet das belebte Objekt wie so oft in der Kunst der Künstlerin einen gewaltigen Hall- und Echoraum an Referenzen. Indem der Spiegel erschrickt und erzittert und sich förmlich schüttelt vor dem sich in ihm betrachtenden Gegenüber, löst er bei diesem nach einem ersten überraschten, vielleicht ebenfalls erschreckten Erstaunen über dieses unerwartete Intermezzo wie von selbst einen Reflexionsprozess aus. Bei ihm unterzieht der Mensch seine im Spiegel verschwimmende und undeutlich werdende Person einer im Gegenzug umso stärker und schärfer ausfallenden Bewusstseinsprüfung. Bei ihr steht nicht mehr die reine Körperwahrnehmung auf dem Spiel „Bin ich schön?“ – sondern das Ganze der Identität „Wer bin ich?“.

Diese philosophische Frage von großer Tragweite zieht sich im Grunde wie ein rotes Band durch alle Werke der Künstlerin. Ein Spiegel ist auch Teil ihrer in Salder ausgestellten „Glamour Box“ (2010). Er besetzt den Innendeckel einer kleinen, äußerlich schlichten Holzkiste und zeigt als Widerschein zweimal das perspektivisch verzerrte Wort Glamour. Es ist sowohl in Rot und Schreibschrift als auch in Gold und Blockbuchstaben mit nicht fixierten Glimmerpigmenten auf Boden und Seitenwände der Kiste aufgebracht. Beide Worte sind gegeneinander gesetzt und lesen sich im Spiegel noch einmal seitenverkehrt. In spielerischer und unangestrengter Weise inszeniert die Künstlerin durch den auf diese Weise mehrfach gespiegelten Auftritt der Worte eine Art Wahrheitssuche. Was ist richtig, was ist falsch? Nicht nur der Spiegel, sondern auch das Wort Glamour ist mit Vorbedacht gewählt. Die Selbstbespieglung des Objekts mündet in selbst referentieller Weise in die Eitelkeit der Mode. Wie in früheren Zeiten Reisealtäre kann man auch diese kleine Kiste mit sich herumtragen. Während die mobilen Altäre dazu dienten, die Menschen in ihrem Glauben zu stärken und zu Gott zu führen, führt Smiateks kleine Kiste durch eine paradoxe Intervention ihren Besitzer zu sich selbst. Sie ist ihm dabei behilflich, Sein und Schein zu unterscheiden und wesentlich zu werden. Denn der Transport lässt die Pigmente herunter rieseln und die Worte undeutlich werden. Der Glamour blättert buchstäblich ab. Er, den wir oft genug anbeten und verehren, ist in der Regel nicht weniger ephemer und kurzlebig als die Mode, der wir ebenfalls nur allzu gerne folgen.

Mit den glamourösen Angeboten der Mode operiert auch die etwas ältere Arbeit „Skyline – Indiana Rouge, Champagne Rosé, Caramel Pink, Passion Red“ (2006). Ihr Untertitel nennt verschiedene Lippenstiftfarben. Die Lippenstifte selbst, aus Silikon gefertigt, drängen sich wie eine Versammlung unterschiedlich großer Hochhäuser auf einer Holzplatte zusammen. Unterhalb der Platte ist einmal mehr ein Spiegel angebracht, auf dem seitenverkehrt und gleichfalls in verschiedenen Rottönen die Städtenamen Paris, Zürich, London und Berlin als Modezentren stehen, die mittels eines weiteren Spiegels richtig zu lesen sind. Auch hier fangen die Lippenstifte an zu zittern, sobald ein Betrachter sich nähert. Der Eindruck ist stark, die mit ihm verbundenen Assoziationen vielfältig. Man denkt an Erdbeben und einstürzende Häuser, aber auch an sich öffnende und vor Begehren zitternde, weibliche Münder. Zugleich haben die Lippenstifte aber auch stark phallische und aggressive Züge, was bereits in der Vergangenheit die Pop Art wiederholt, wenn auch eher plakativ, heraus gestellt hat. Beispielsweise die Bilder von Robert Indiana (geb. 1928) oder die Skulpturen von Claes Oldenburg (geb.1929). Johanna Smiateks Werk gewinnt eine zusätzliche Dimension durch seine Vermischung der Sphären. Nicht nur das Männliche und Weibliche durchdringen sich in ihm, sondern ebenso das Starke und Schwache wie das Zeitliche und Ewige. Begriffe und Vorstellungen schlagen um in ihr Gegenteil, verlieren ihre Eindimensionalität und werden schillernd und vieldeutig.

Michael Stoeber

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Johanna Smiatek
geboren 1967 in Hannover
lebt und arbeitet in Berlin